Die reine Wahrheit

Der Politiker Oscar steht kurz davor, eine für ihn wichtige Wahl zu gewinnen, als die verschrobene Michelle auftaucht, die wegen mutmaßlicher schwerer Vergehen in seiner Vergangenheit einen Rachefeldzug gegen ihn anzetteln will und von Anfang an klarmacht, dass mit ihr nicht zu spaßen ist. Oscars Assistentin Cassie versucht, den Schaden zu begrenzen, und wird dabei in ein undurchschaubares Netz aus wechselnden Allianzen verstrickt, in dem bald auch alle anderen Figuren zappeln. In einem zunehmend brutalen Kampf setzen die Protagonisten alles daran, ihre Interessen durchzusetzen. Cassie will durch Oscar, dessen Reden sie schreibt, ihre politischen Reformpläne umsetzen und nimmt dafür in Kauf, dass der etwas tumbe Politiker gelegentlich populistische Ausfälle hat. Ihre schwangere Lebensgefährtin Lesley will ihrem Kind eine stabile Familiensituation sichern und spannt dafür auch, ohne zu zögern, ihren Ex-Freund aus dem Mafiamilieu ein. Und ein Obdachloser, den Michelle für ihre Zwecke benutzt, wechselt ohne mit der Wimper zu zucken die Fronten, als ihm Oscar anbietet, seine Sicht der Dinge publik zu machen. Skurrilerweise ist ausgerechnet der Politiker, dessen Skrupellosigkeit der Ausgangspunkt für den Konflikt zu sein scheint, zwar eindeutig ungeeignet für ein politisches Spitzenamt, aber im Grunde eine ehrliche Haut. Die temporeiche Komik des Stückes sollte nicht darüber hinwegtäuschen, wie bitterernst die Figuren es meinen – das amüsante Verwirrspiel endet blutig.

George F. Walker fragt in seinem neuen Stück, wie korrumpierbar wir eigentlich sind. Sind es wirklich nur die bösen Politiker, die opportunistisch handeln und taktieren, oder hat die aktuelle politische Kultur vielleicht mit unserem eigenen Verständnis von Durchsetzungsfähigkeit und Erfolg zu tun?