Im Bergwerk der Geschichte – Thomas Freyers «Treuhandkriegspanorama» uraufgeführt

Szenenfoto Treuhandkriegspanorama (Deutsches Nationaltheater Weimar)
© Candy Welz

Am 20.01.2022 war am Deutschen Nationaltheater Weimar in der Regie von Jan Gehler die Uraufführung von Thomas Freyers Stück Treuhandkriegspanorama.

«Kontaminierte Mentalitätsgeschichte mit Langzeitwirkung.» (Dresdner Neueste Nachrichten)

«Die Schließung des Kalibergwerks Thomas Müntzer im thüringischen Bischofferode ist eines von vielen Beispielen der als Transformationsphase abstrahierten Nachwendejahre … Thomas Freyer und (Regisseur Jan) Gehler hätten von Geprellten erzählen können, die der böse Kapitalismus West überfahren hat. Doch sie entziehen sich dieser reinen Opferdeutung … So gewinnt der Abend, der Komplexes komplex behandelt und um Differenziertheit nicht nur bemüht ist, besondere Tiefe. Es ist ein ostdeutsch-ostdeutsches Selbstgespräch, in dem einmal nicht historische Setzungen, angebliche Selbstverständlichkeiten und letztlich Ressentiments untermauert werden, sondern: Er stellt sie durch den Einsatz der Mehrperspektivität in Frage. Damit Individuelles hervortreten kann.» (Nachtkritik)

«Rasantes und höchst ambivalentes Dokumentartheater … Womöglich wäre das Stück noch vor wenigen Jahren als populäre Anklagegeschichte erzählt worden. Dieser Falle entgehen die Macher jedoch zum Glück … Offensichtlich braucht es den zeitlichen Abstand, um zu einer nüchternen, aber gleichwohl berührenden Betrachtung der Wirklichkeit zu gelangen, wie sie dieses zwei Stunden lange und jede Minute lohnende Stück auf bemerkenswerte Weise liefert.» (Frankfurter Allgemeine Zeitung)

«Freyer entwirft tatsächlich ein Panorama: aus formalen Zugriffen, originalen Zitaten und poetischer Verdichtung, aus Kommentar sowie historischen und fiktionalen Figuren, die noch durch geschlossene Schächte spuken … Ein Stück zur rechten Zeit.» (Thüringer Allgemeine)

Treuhandkriegspanorama

Als am 31.12.1993 das Kaliwerk «Thomas Müntzer» in Bischofferode, Eichsfeld, trotz eines Hungerstreiks der Belegschaft geschlossen wird, scheint dies nur das Ende eines weiteren maroden Ost-Betriebs zu sein. Erst 2014 wird öffentlich, dass das Werk zur Wendezeit zwar in der Tat unrentabel war, aber womöglich hätte saniert werden können: Es gab neue, effizientere Maschinen, Investoren, Abnehmer für die Kalisalze. Doch war die Rettung von Anfang an gar nicht gewollt, weil sich die westdeutsche Kali-Industrie bedroht sah und Druck auf die Regierung Kohl und insbesondere die Treuhandanstalt ausübte. Wie sehr die Ereignisse von damals bis heute nachwirken und fast exemplarisch zu Frustration, Politikverdrossenheit und Misstrauen in demokratische Prozesse geführt haben, dem spürt Thomas Freyer in seinem Stück nach, ohne irgendetwas nostalgisch zu verklären. In die private Geschichte einer Bergarbeiterfamilie montiert er zahlreiche Dokumente aus der Treuhandtätigkeit und überblendet beides mit Werner Tübkes monumentalem Bauernkriegspanorama-Gemälde im nahen Bad Frankenhausen. Ein oszillierendes Bild entsteht, in dem die unterschiedlichen Positionen zu ihrem Recht kommen – die der unmittelbar Betroffenen mit ihren enttäuschten Hoffnungen sowie jener, die den Strukturwandel unter marktwirtschaftlichem Aspekt vorangetrieben haben. Treuhandkriegspanorama öffnet einen Möglichkeitsraum, der eher Fragen stellt, als Antworten zu liefern, und der zugleich mitten ins Herz aktueller Debatten zielt.

Zum Stück