Skurriler Albtraum: «Keinland» von Magdalena Schrefel uraufgeführt

Das Stück katapultiert «sein Personal und seine Szenerien an den Horizont des Dystopischen, hinter dem vielleicht schon wieder eine Utopie aufscheint.» (Süddeutsche Zeitung)

Zwei Menschen stehen in einer Vitrine, darüber die Projektion: "Aller Abend"
© Martin Kaufhold / Theater Regensburg

ADRIAN
Das Wasser steigt, merkst du das nicht, dass die Wellen immer höher klettern. Dass der Müll langsam, aber sicher hier aufweicht, dass die Ränder sich ins Land verschieben, merkst du das nicht, Jesolo, dass uns das Wasser hier bald bis zum Hals steht! Das ist der Grund, warum hier alles so moosig wird, warum sogar dein Schuh von Moos überzogen ist.

Magdalena Schrefel, Keinland
 

Am 15.01.2022 wurde Keinland von Magdalena Schrefel am Theater Regensburg uraufgeführt (Regie: Pia Richter). 

«Ausnahmsweise mal eine Zukunftsvision, die nicht als düstere Dystopie daherkommt, sondern aus dem Hintennach erzählt, wie bescheuert vorher alles war. Und dieses Vorher ist in Keinland … die Gegenwart: die Gegenwart einer Menschheit, die durchgeknallt Massen von Plastikmüll produziert, als ob’s kein Morgen gäbe.» (Die Deutsche Bühne)

«Schrefels Stück hat … einen guten Weg aus dem Dilemma gefunden, dass Theaterabende zum Klima-Gau häufig zur trockenen Kanzelrede oder zur agit-propartigen Wachrüttelveranstaltung tendieren und nur selten ästhetische Leckerbissen sind … [Das Stück fragt] auch nach dem emanzipatorischen Potenzial des Lachens und nach der emotionalen Erreichbarkeit des Publikums auf raffinierteren Wegen als dem moralischen Frontalangriff. Zum Beispiel durch Sprachwitz und ausgesucht schräge Situationen … [Der Abend erzeugt] Komplexität durch Irritation, Abstand zum Ernst, zum Naturalismus und zum Jetzt [und katapultiert sein] Personal und seine Szenerien an den Horizont des Dystopischen, hinter dem vielleicht schon wieder eine Utopie aufscheint.» (Süddeutsche Zeitung)

«Der Irrsinn des Irrealis, mitten auf die Bühne des Haidplatztheaters hinaufgesprenkelt, ein Stück in doppelter und dreifacher Brechung, wirklichkeitszertrümmernd gegenwartskritisch: das ist Keinland … Die Haltungsschäden des modernen Menschen im Umgang mit Natur und Nachhaltigkeit werden umgesetzt in einer bewusst beschädigten Bühnenhaltung, in einer zugleich behaupteten und beständig sich selbst widersprechenden Wirklichkeit, in der nichts so ist, wie es scheint … Es zeigt sich: Zweifel am Weitermachen wie bisher geht auch ohne dystopischen Horror. Geht sogar mit Witz.» (Donaupost)
 

Keinland

Jesolo und Adrian sind die letzten Menschen auf Thilafushi, der künstlich geschaffenen Entsorgungsinsel der Malediven. Früher waren sie viele, die hier sortierten, was die Feriengäste der Nachbarinseln hinterlassen haben. Dann wurde der Müll immer mehr und mehr und verdrängte die Arbeiter. Nun bleiben die Touristen aus, während der Meeresspiegel steigt. Bald schon wird das Wasser die letzten Inseln verschlungen haben und nur noch die höchsten Erhebungen, die Berge aus Abfall, werden daraus hervorragen. Zwar erobert sich die Natur unaufhörlich das von den Menschen Geschaffene zurück, doch durch die Unmengen von Plastik hat sich die Menschheit längst unsterblich gemacht. Wenn alles untergegangen sein wird, wird es der Plastikmüll sein, der diesen Wandel überdauert.

Zeitsprung: Eine Erlebnis-Ausstellung in nicht allzu ferner Zukunft widmet sich der Erinnerung an die Malediven. Mit viel Aufwand wird hier präsentiert, wie einst der Massentourismus entstand, wie eine paradiesische Lagune zur größten Müllkippe der Region wurde, wie das Klima sich veränderte und schließlich das Meer die gesamte Inselgruppe verschluckte. Original-Artefakte zeugen von der Zeit damals: eine Einwegtrinkflasche von 2020, Chipstüten, Rollkoffer, ein löchriges Gummiboot …

Mit Keinland entwirft Magdalena Schrefel eine Welt, in der die Folgen des Klimawandels und der Umweltverschmutzung, die heute beschworen werden, bereits Realität geworden sind. Es ist ein letzter Blick auf das, was vom 21.Jahrhundert übrig bleibt – wenn die Zerstörung von Lebensräumen so ungebremst weitergeht wie bisher.

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