«Persönlich und drängend»: «Mädchenschrift» von Özlem Özgül Dündar erhält den Kaas & Kappes-Preis 2023

«In diesem Stück wird langsam aufgebaut, gestapelt, ganz langsam zieht dieser Monolog die Zuschauenden in die Welt des heranwachsenden jungen Mädchens hinein. Der Text ist ohne Interpunktionszeichen und ohne Großbuchstaben geschrieben. Sogar die Schrift selbst, wie das Mädchen um das es sich darin handelt, darf sich nicht größer machen, bleibt zusammengedrückt, obwohl der Inhalt groß ist und eine große Wirkung hat.» (Aus der Jury-Begründung)

Autorinnenfoto Özlem Özgül Dündar
© Dincer Gücyeter

Özlem Özgül Dündar erhält für ihren Monolog Mädchenschrift den mit € 5.000,-- dotierten niederländisch-deutschen Kinder- und Jugenddramatiker:innenpreis «Kaas & Kappes».

Am Ende hat die junge Frau sich aus ihrem Zusammnengedrücktsein herausgeredet. Am Ende ist ihr Monolog eine Anklage geworden. Ein Flugblatt, ohne plakativ zu sein, persönlich und drängend (...) In diesem Text hören wir eine Stimme, die wir auf der Bühne nicht oft genug hören.  Bei diesem Text und nur bei diesem Text habe ich mir beim Lesen gedacht: dieses Stück sollte ich sofort übersetzen und bei mir in der Schule zeigen (ich unterrichte in Amsterdam an einer Schulgemeinschaft, mit Schüler*Innen aus sehr vielen verschiedenen Kulturen). Wir hören im Stück also auch eine Perspektive, aus der wir die Welt nicht oft genug betrachten. Ich bin der Meinung, dass dieser Text ganz vielen jungen Frauen und Mädchen Mut machen wird, manche Sachen nicht als gegeben hinzunehmen und stopp sagen zu können.

Aus der Laudatio von Chiara  Tissen (NL), hier vollständig nachzulesen.

Mädchenschrift entstand im Auftrag des Schauspielhaus Bochum und ist derzeit dort in der Regie von Selen Kara zu sehen (Spielerin: Romy Vreden). Außerdem wird das Stück am Theater im Pfalzbau, Ludwigshafen in der Regie von Sergej Gößner gezeigt (Spielerin: Ipek Bayraktar). 

Mädchenschrift

Plötzlich sind da diese Blicke. Eben war sie noch ein Kind, das auf dem Schulhof mit seinen Freundinnen spielt und wie ein Grashüpfer herumspringt. Aber dann beginnt dieses Ziehen in den Brüsten und im Bauch, das Innere passt nicht mehr zum Außen, der Körper nicht mehr dazu, wie sie sich fühlt. Und eben vor allem: die Blicke. Nicht nur die der Eltern und Verwandten, die sie jetzt anders sehen, strenger sind, die ihr sagen, dass sie erwachsen werden muss, stark, dass Frauen wie sie nicht schwach sein dürfen. Sondern vor allem die Blicke der Männer, die an ihr haften bleiben, die Sätze, die sie ihr hinterherrufen. Jeder Blick eine Last, jeder Satz eine Bürde, bis jede Leichtigkeit verloren geht. Wie kann es sein, dass die Welt so auf ein Mädchen niederdrückt? Dass Menschen, die es besser wissen müssten, ihre Blicke und Worte auf sie werfen, bis sie sich kaum noch rühren kann? 

Mädchenschrift ist Beschreibung, (Selbst-)Erforschung und Manifest zugleich, das Aufbegehren einer jungen Frau gegen die Zuschreibungen und Zumutungen, die Bewertungen und Belästigungen, die sie kleinhalten und ihr die Luft abschnüren.

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