Die Uraufführung von Angabe der Person war im Dezember 2022 am Deutschen Theater Berlin (Regie: Jossi Wieler), das Stück war 2023 für den Mülheimer Dramatikpreis nominiert und ist als Buch im Rowohlt Verlag erschienen.
«Man darf sich den Text wie einen dauerblinkenden Synapsenhaufen vorstellen, ein wütendes Hirn, das, von der eigenen Biografie und bitterem Blick auf unmoralische Schuldenstände getriggert, unaufhaltsam weitersendet bis zur völligen Erschöpfung: eine persönliche Lebensbilanz, die zwanglos die letzten 200 Jahre übergreift, politische Schuld wie individuelle Schulden mitleidlos vorrechnet – arrogant, sensibel, lässig und kompromisslos zugleich. Aus der persönlichen Jelinek-Suada erwächst zunehmend der große historische Hallraum, aus dem Jelineks Schreibwut befeuert: die Rede der Toten und Lebendigen, von denen alle ihre Texte handeln, von denen sie nicht lassen kann und will – das große Gerede ihrer Welt. Und eine Erinnerung an unentwirrbar schuldverklebte Wirklichkeiten, die bis heute uneinholbar weiterwuchern.» (Theater heute)
«Wieler (hat) mit Herz, Hirn und Fingerspitzengefühl die ganze Theaterwelt für die Schauspielerinnen Fritzi Haberlandt, Linn Reusse und Susanne Wolff freigeräumt, die Elfriede Jelineks Worte in einer Weise sprechen, wie man es nie zuvor gehört hat. Die drei entpuppen sich als hinreißende Alleinunterhalterinnen im Interesse der Autorin und zeigen, wie klug und gut deren Text konstruiert ist, wie witzig und schräg, theatral und spielbar. Timing, Rhythmus, Kalauer, Pointen, das Lächeln, das Wüten, der Ingrimm, Fermaten und wirkungsvoll eingeschobene Pausen – alles stimmt wie in einer Partitur, die ein begnadeter Dirigent zum Leben erweckt … Jossi Wielers sensationelle Inszenierung (verbindet) Sprache, Spielkunst und den Echoraum der Zeitgeschichte zu einer so intelligenten wie sinnlichen Aufführung.» (Frankfurter Allgemeine Zeitung)
«Die Juden, die Nazis, die Toten. Immer wieder die Toten. Sie nicht in Ruhe zu lassen, sie zu Wort und zu ihrem Recht kommen zu lassen, war schon immer Jelineks Ding. Als ‹Totendompteuse› schimpft sie in ihrem Text, der Anklage- und verteidigungsschrift, Trauer- und Wutrede zugleich ist, ein sprudelnder Sermon voller Zynismen, Kalauern, ätzendem Witz. Es ist ein starker, phänotypischer Text, widerständig und widerborstig, dringlich und bedrängend, in Wunden bohrend und an Nerven sägend. ‹Ich bin eine Art Windel für die Welt›, heißt es einmal, ‹ich lasse nichts durch.› Jelinek at her best.» (Süddeutsche Zeitung)
«Wenn Elfriede Jelinek die Hutschnur platzt, dann hält sie sich nicht lange mit dem konkreten Prüfgegenstand auf – der ist inzwischen sicher längst geklärt, beglichen und ausradiert –, sondern lässt sich vom Vokabular zwischen Schuld und Abrechnung davontragen, schimpft sich 200 Druckseiten von der Seele, breitet ihre Grundsatzzweifel aus, nimmt die Sachlage mit Lust persönlich, reißt ihre Wunden auf, indem sie ihre jüdischen Vorfahren und deren Leid unter den Nazis hervorkramt, mit dem Erbe der Täter ins Verhältnis setzt, dabei den Aberwitz des Gerechtigkeitsanspruches aufleuchten lässt und abfackelt. Und natürlich lacht sie sich für all das selbst aus.» (Frankfurter Rundschau / Berliner Zeitung)
«Beste Aufführung im deutschsprachigen Raum»: NESTROY-Preis für «Angabe der Person» von Elfriede Jelinek
Bei der Verleihung der NESTROY-Preise 2023 wurde die Uraufführungsinszenierung von «Angabe der Person» am Deutschen Theater Berlin (Regie: Jossi Wieler) in der Kategorie «Beste Aufführung im deutschsprachigen Raum» ausgezeichnet. Wir gratulieren allen Beteiligten!
Das Kapital fährt ins Ausland, spricht seine Sprache, und dort, wo man auch seine spricht, bleibt es dann liegen. Die Sonne scheint nicht in Tresore, die Sonne kommt aus den Tresoren und bestrahlt uns, wenn wir sie öffnen, die Büchsen der Pandora.
Angabe der Person
Ein steuerliches Ermittlungsverfahren, das zwar inzwischen längst eingestellt wurde, das aber selbst intimste E-Mails auswertete, wird für Elfriede Jelinek zum Anlass, auf ihre «Lebenslaufbahn» zurückzublicken. Erstmals erzählt sie literarisch die Geschichte des jüdischen Teils ihrer Familie. In die eigenen Angaben zur Person schieben sich immer wieder Berichte über das Schicksal von Verwandten, die während der Nazizeit aus Österreich fliehen mussten, die deportiert und ermordet wurden. Zugleich führt der private Finanzfall auch zum Nachdenken über globale Kapitalströme. Wie sehr profitieren Staaten bis heute von enteignetem jüdischen Vermögen? Wie viele NS-Größen wurden umgekehrt nach 1945 anstandslos entschädigt? Und was sind aktuelle Steuersparmodelle oder handfeste Betrugsskandale, von Cum-Ex-Geschäften bis zu Wirecard?
So autobiographisch wie allgemeingültig, so sarkastisch wie wütend rechnet Elfriede Jelinek in ihrem Stück nicht nur mit sich, sondern auch mit einer Gesellschaft ab, die sich eher für die Täter als für ihre Opfer interessiert, und verfolgt – ein Leitmotiv ihres Werks, das sie hier eindringlicher denn je neu aufgreift – «die Wege des Geldes als einem der größten Geheimnisse in der modernen Wirtschaft, dem Bodenlosen, auf dem alles beruht» (Der Standard).