Wenige Menschen fallen einem ein, die das Theater, deutschsprachig wie international, in den letzten Jahrzehnten so grundlegend geprägt und verändert haben wie René Pollesch. Mit seinen Texten, seinen Inszenierungen und mit seiner besonderen Arbeitsweise, die untrennbar verknüpft war mit den Beteiligten der jeweiligen Produktion, von der Konzeption des Bühnenraums bis zu den Spielerinnen und Spielern, hat René Pollesch eine eigene, unverkennbare Sprache geschaffen – zutiefst persönlich und doch allgemeingültig, direkt, unmittelbar und gleichzeitig klar geformt, in der individuelle, bisweilen scheinbar banale Lebenserfahrungen sich vermischen mit übergreifenden philosophischen Reflexionen.
Elfriede Jelineks Satz «Ich will kein Theater, ich will ein anderes Theater» trifft, wie auf sonst kaum jemanden, auch auf die Praxis von René Pollesch zu, der Dramen- und Bühnenkonventionen radikal verworfen hat, um gleichzeitig virtuos mit ihnen zu spielen, aus dessen Abenden man keine Botschaft, keine Bilanz bequem mit nach Hause tragen kann, weil die Texte unablässig im eigenen Kopf weiterarbeiten, in einem Prozess, der sich – wie Polleschs Schreiben selbst es tat – beständig fortsetzt, Themen variiert und neu aufgreift und sich (um es mit Deleuze/Guattari zu sagen) Rhizom-artig ausweitet.
Stets war es ein neuer, ungewohnter Blick auf die Welt, den einem Pollesch-Abende eröffnet haben, stets war man von ihnen gefordert, verwirrt, irritiert und zugleich beglückt und beflügelt von ihrem Witz, ihrer intellektuellen Schärfe und ihrer menschenfreundlichen Zugewandtheit, ohne dass es auch nur eine Sekunde lang versöhnlich oder gar kitschig wurde.
René Polleschs Kunstform war es, wie Diedrich Diederichsen es einmal zusammenfasste, «das Theater neu zu bestimmen», und er hat dabei «ein neues Genre darstellender Kunst entwickelt» – kein Zufall also, dass sein Werk vielfach ausgezeichnet wurde, darunter mit dem Else-Lasker-Schüler-Dramatikerpreis, dem Nestroy-Preis und zweimal mit dem Mülheimer Dramatikerpreis.
René Pollesch wird dem Theater unendlich fehlen – und uns als Mensch noch viel mehr.
Wir trauern um René Pollesch
Ja nichts ist ok. René Pollesch, Autor, Regisseur und zuletzt Intendant der Volksbühne am Rosa-Luxemburg-Platz, Berlin, ist am 26. Februar 2024 gestorben.