© Stefanie Kulisch
Ein Berg, viele
HörspielEs war einmal ein Geograf im England des 18. Jahrhunderts, der zerbrach sich den Kopf, weil er keine Erklärung dafür fand, warum der Niger an einer bestimmten Stelle einen Knick macht. Nach Monaten des Grübelns kommt er zu dem Schluss, dass es dort ein Gebirge geben muss, ein großes, das den Verlauf des Flusses lenkt. Kurzerhand zeichnet er es ein in die Karte des afrikanischen Kontinents und gibt ihm den Namen «Kong». Erst 100 Jahre später wird ein weiterer Geograf darauf aufmerksam, dass es zu keiner Zeit ein solches Gebirge gegeben hat, niemand, der je den Niger bereist hätte, würde dort einen Berg gesehen haben. Die «Kong-Berge» sind nichts als die Kopfgeburt eines Europäers, der mit seinem Zeichenstift ansetzt, um der Welt ein Bild von Afrika zu machen.
Mit Blick auf das Meer, auf Europa und auf die Grenzen, die, einst gezogen, nicht an Bedeutung eingebüßt haben, treffen sich zu einer anderen Zeit an einem «Berg Kong» genannten Ort eine junge Europäerin und ein junger Afrikaner. Er wartet darauf, endlich den Sehnsuchtsort «Europa» zu erreichen, während sie von dort kommt, um der Wahrheit über Afrika nachzuspüren. Da, wo die beiden sich begegnen, trifft wie Flutwellen der Gegenwart Traum auf Realität und bevor die Strömung sie mitreißt, halten sie sich fest an ihrer Erzählung von einer Welt, in der alles möglich ist.
Indem sie die Gegenwart von der Geschichte aus betrachtet, wirft Magdalena Schrefel einen scharfen Blick auf die Kolonialgeschichte und die Hybris der Menschen und erzählt dabei zugleich von der Kraft der Vorstellung, die keine Karten oder Grenzen kennt. Davon, wie aus einer Idee Wirklichkeit wird und wie eine Wirklichkeit vielleicht nur eine Idee war.
25.10.2020 Bayerischer Rundfunk / Österreichischer Rundfunk (Regie: Teresa Fritzi Hoerl)
Hörspiel des Monats Oktober 2020
Nominiert als Hörspiel des Jahres 2020