«Elfriede Jelinek nimmt sich die öffentliche Resonanz auf die Corona-Pandemie vor, ausgehend vom berüchtigten Tiroler Skidorf Ischgl bis zu den Turbulenzen in den sozialen Medien. All das schüttelt sie im historischen Kontext wie in einem Glaskolben durcheinander und schildert dann so profund wie ironisch, was passiert: ein Experiment mit offenem Ausgang und gescheiten, amüsanten Querverbindungen … Mit Lärm. Blindes Sehen. Blinde sehen! greift sie entschlossen ins Medien-Mythen-Mutationen-Leben und bereitet es als abstoßend faszinierendes Zerrspiegelpanorama auf … Alles kommt dank Jelineks zeitkritischer Diagnostik wieder hoch, was nun wegen der sinkenden Ansteckungen gnädig übergangen wird.» (Frankfurter Allgemeine Zeitung)
«Nachrichtensätze, Wissenschaftsfetzen, Politikergestammel und Verschwörungsbeschwörungen vermengen sich zu einem Sprachstrudel, der sich immer schneller dreht. Eine Kakofonie des Erschreckens … In Lärm. Blindes Sehen. Blinde sehen! hat Jelinek gleich zwei, nein drei bildmächtige Fäden in ihren Sprachteppich verwebt: zum einen Lois Hechenblaikners verstörende Après-Ski-Fotos aus Ischgl, die einen kranken Ballermann in den Alpen porträtieren, und zum anderen die Bilder von Schlachthöfen, in denen das Virus ideale Bedingungen vorfand. Verknüpft wird das Ganze, und das ist Jelineks Clou, mit dem zehnten Gesang der Homer’schen Odyssee, in dem Odysseus mit seinen Gefährten auf der Insel der Zauberin Kirke gelandet ist. Nach einem Gastmahl werden Odysseus’ Kumpane als Strafe für ihre Gier und Fleischeslust in Schweine verwandelt … (Lärm… ist) die Verstärkung der Vielstimmigkeit einer Gegenwart, deren Übereinkünfte außer Kraft gesetzt wurde. In der Beschreibung dieses Sachverhalts war Elfriede Jelinek schon immer einsame Meisterin.» (Der Standard)
«Jelinek erscheint als eine Beobachterin aus höherer Warte, ein starkes Ich implizierend, aber dann immer wieder auch sich gemein machend mit einem ominösen ›Wir‹ – dem Wir der Misstrauischen und Besserwissenden, der Ängstlichen, Twitternden, Böses Witternden. Aber auch dem Wir der Mächtigen und Macher … Ein Über-Ich und ein virales Wir … Weniger eine Wut- und Glutrede diesmal als ein Satyrspiel … Zu einer tieferen Essenz findet das Stück dort, wo Jelinek es engführt mit dem antiken Mythos: Es ist von satirischer Verve und Bosheit, wie Jelinek von den verschwörungsinkriminierten Sendemasten auf den Schiffsmast des Odysseus und dann auf die Schweinemast kommt, auf die Fleischfabriken à la Tönnies, wo Billiglohnarbeiter sich mit Corona angesteckt haben. Wobei die Schweine-Metapher sich auch auf die ‹Kitzloch›-Ischgl-Männer und ‹Muschifreunde Karlsruhe› bezieht … Das Virus, das hier tötet, heißt Mensch.» (Süddeutsche Zeitung)
«So funktioniert ein guter Seuchenthriller: Man weiß, dass die Infektionen ihren Lauf nehmen, und man starrt trotzdem fasziniert hin. Bloß dass Lärm. Blindes Sehen. Blinde sehen! gar kein Seuchenthriller ist. Jelinek beschreibt zwar das Ischgl-Unheil, … aber ab einem gewissen Punkt geht es nicht mehr um Corona, es geht um: Lärm. Um Geschrei, um zerfallende argumentative Strukturen im Pandemie-Diskurs, um die Kakofonie des Irrsinns. Die einen fordern immer schärfere Schutzmaßnahmen, die anderen leugnen schlichtweg, dass das Virus überhaupt existiert. Zum ersten Mal hat man den Eindruck, dass Jelinek weniger überspitzt als vielmehr abmildert – besonders absurde Gestalten wie Attila Hildmann kommen im Stück gar nicht vor –, und dennoch rauscht der Abend konsequent in den Wahnsinn … Diese Corona-‹Odyssee› ist keine Irrfahrt, sondern eine Höllenfahrt.» (Nachtkritik)