NESTROY-Nominierungen für Magdalena Schrefel, René Pollesch und Michel Marc Bouchard

Die Jury des renommierten Wiener NESTROY-Preises hat die diesjährigen Nominierungen bekanntgegeben, darunter sind u. a. Stücke von Magdalena Schrefel («Bestes Stück – Autor:innenpreis»), René Pollesch («Beste Aufführung im deutschsprachigen Raum») und Michel Marc Bouchard («Beste Bundesländerauffführung»). Mit dem NESTROY-Preis werden seit dem Jahr 2000 herausragende Leistungen an den Wiener und den anderen österreichischen Bühnen ausgezeichnet.

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Nominiert in der Kategorie «Bestes Stück – Autor:innenpreis»: «Die vielen Stimmen meines Bruders» von Magdalena Schrefel (Mitarbeit: Valentin Schuster)

«Die vielen Stimmen meines Bruders ist ein kleines, klug gebautes Stück, in dem Magdalena Schrefel stets auch den Vorgang selbst zum Thema macht: dass da eine Dramatikerin ein Drama über sich und ihren behinderten Bruder schreibt. Das Stimmen-Casting, das die beiden Geschwister veranstalten, ist die äußere Handlung eines Stücks, in dem es vor allem darum geht, wer für wen sprechen darf und wie. Und natürlich um das Leben mit Behinderung und Behinderten. ‹Was mich behindert›, sagt der Bruder, ‹sind die Bilder, die es von Behinderung gibt.›» (Wolfgang Kralicek, Jury)

Nominiert in der Kategorie «Beste Aufführung im deutschsprachigen Raum»: «ja nichts ist ok» von René Pollesch (Volksbühne Berlin)

«Vom Tod René Polleschs wird sich das deutschsprachige Theater lange nicht erholen. Seine letzte Inszenierung ja nichts ist ok ist Legende, denn der Autor und Regisseur starb nur 15 Tage nach der Premiere. Doch auch abseits der tragischen Umstände ist das Werk … scharf, besonders, absonderlich … Fabian Hinrichs, der abwechselnd mehrere WG-Bewohner:innen und einen Lieferdienstmitarbeiter spielt (unglaublich: so etwas wie Figuren in einem Pollesch!) und Sätze, die von Sarah Kane sein könnten, wie ritzende Klingen in die klare nächtliche Unheimlichkeit sagt. Der ins Publikum kommt und vom Sterben redet … Das macht alles so viel auf, was aus zutiefst menschlicher Sicht über die Gegenwart spricht.» (Martin Thomas Pesl, Jury)

Nominiert in der Kategorie «Beste Bundesländerauffführung»: «Tom auf dem Lande» von Michel Marc Bouchard in der Inszenierung von Sara Ostertag (Landestheater Linz)

«Fast ein Klassiker queerer Dramatik ist Tom auf dem Lande von Michel Marc Bouchard (2010). Tom fährt zur Beerdigung seines Partners Guillaume und stellt fest, dass der sich seiner Familie gegenüber nie geoutet, vielmehr eine Arbeitskollegin aus der Stadt als seine Freundin ausgegeben hat. Die Mutter nimmt Tom als ‹einen› Freund herzlich auf, der Bruder kannte das Geheimnis und nötigt Tom, es zu wahren. Beim Kühemelken kommen sich die beiden Männer näher … Sara Ostertag erzählt von schwelender Gewalt mit einem feinen Gespür für Abstraktion.» (Martin Thomas Pesl, Jury)

Wir gratulieren den Nominierten sehr herzlich und drücken die Daumen! 

Die NESTROY-Verleihung 2024 ist am 24. November im Volkstheater Wien. Die Jury besteht in diesem Jahr aus den Kritiker:innen Margarete Affenzeller, Karin Cerny, Sonja Harter, Wolfgang Kralicek, Martin Thomas Pesl, Julia Schafferhofer, Susanna Schwarzer und Alexandra Althoff (Vorsitzende).

Magdalena Schrefel

Magdalena Schrefel

Magdalena Schrefel, 1984 in Wien geboren, studierte nach längeren Arbeitsaufenthalten in Vukovar und Göteborg an der Universität Wien Europäische Ethnologie sowie Literarisches Schreiben am Deutschen Literaturinstitut Leipzig. Sie schreibt Theaterstücke, Hörspiele und Erzählungen. Ihr Stück Ein Berg, viele wurde neben dem Kleist-Förderpreis 2020 auch mit dem 3. Else-Lasker-Schüler-Stückepreis 2020 ausgezeichnet, die Hörspielfassung, produziert von BR und ORF, wurde zum Hörspiel des Monats Oktober 2020 gewählt. Für ihre Erzählung Bold, Never Regular erhielt sie 2017 den AK-Literaturpreis sowie den Ö1-Literaturpreis, und ihre Erzählung Kirschkernernte wurde 2018 mit dem Literaturpreis der Akademie Graz ausgezeichnet, sie sind Teil eines Erzählbandes, der unter dem Titel Brauchbare Menschen im Frühjahr 2022 in der edition suhrkamp erschienen ist. Brauchbare Menschen wurde mit dem Robert-Walser-Preis 2022 ausgezeichnet. Die vielen Stimmen meines Bruders (Mitarbeit: Valentin Schuster) wurde 2024 mit dem NESTROY-Preis in der Kategorie «Bestes Stück – Autor:innenpreis» ausgezeichnet.

René Pollesch

René Pollesch

René Pollesch (geboren 1962 in Friedberg/Hessen, gestorben am 26.02.2024 in Berlin) studierte Angewandte Theaterwissenschaft an der Universität Gießen bei Andrzej Wirth und Hans-Thies Lehmann; zu seinen Dozenten gehörten dort u. a. Heiner Müller, George Tabori und John Jesurun.

Erste eigene Stücke und Inszenierungen realisierte er auf der Probebühne der Angewandten Theaterwissenschaft, darunter Ich schneide schneller 1 und Daheimbs – Eine Familienserie. Nach dem Studium arbeitete er mit eigenem Ensemble in Frankenthal, bevor er von 1992 bis 1994 eigene Stücke am Theater Am Turm (TAT) in Frankfurt am Main inszenierte, u. a. Splatterboulevard (Dezember 1992), Ich schneide schneller («Version 4», 06.05.1993), Entertaining Mr. S-Rip-Off (22.01.1994) und Pool – A Snuff Comedy (28.10.1994). Nebenher entstanden außerdem Übersetzungen und Bearbeitungen: Metamorphosen (nach Ovid; 14.10.1990 Theater Heidelberg, Regie: Wolfgang Hofmann), William Shakespeares Ein Sommernachtstraum (1992 Bad Hersfelder Festspiele) und Henry Purcells The Fairy Queen (1995 Theater Heidelberg).

Für den Rowohlt Theater Verlag übersetzte Pollesch zudem Joe Ortons Komödien Was der Butler sah (Erstaufführung der Übersetzung: 1997 Bühnen der Stadt Köln) und Beute (Erstaufführung der Übersetzung: 1998 Staatstheater Stuttgart) neu ins Deutsche.

In der Spielzeit 1999/2000 war René Pollesch Hausautor am Luzerner Theater, 2000/2001 Hausautor am Deutschen Schauspielhaus Hamburg, und von 2001 bis 2007 war er künstlerischer Leiter des Praters der Volksbühne am Rosa-Luxemburg-Platz, Berlin. Dort entstanden Produktionen wie die «Prater-Trilogie» Stadt als Beute, Insourcing des Zuhause. Menschen in Scheißhotels und Sex, die 2002 zum Berliner Theatertreffen eingeladen war.

Neben seiner Arbeit an der Volksbühne hat Pollesch seither an zahlreichen anderen Theatern gearbeitet, an den meisten davon kontinuierlich wie am Burgtheater (Akademietheater) Wien, den Münchner Kammerspielen, dem Schauspielhaus Zürich, dem Staatstheater Stuttgart, dem Deutschen Schauspielhaus Hamburg sowie am Deutschen Theater Berlin. Von Herbst 2021 bis zu seinem plötzlichen Tod 2024 war er Intendant der Volksbühne am Rosa-Luxemburg-Platz, Berlin.

2002 war er Gastprofessor an der Goethe-Universität Frankfurt, 2002/2003 an der Universität Gießen und 2004 am Max-Reinhardt-Seminar in Wien.

Neben seinen Theaterstücken hat René Pollesch auch die folgenden Hörspiele geschrieben und inszeniert:

  • Heidi Hoh (2000 Deutschlandradio Berlin)
  • Heidi Hoh arbeitet hier nicht mehr (2001 Deutschlandradio Berlin)
  • Heidi Hoh - die Interessen der Firma können nicht die Interessen sein, die Heidi Hoh hat (2003 NDR).
  • Tod eines Praktikanten (2007 Deutschlandradio Berlin)

Außerdem die folgenden Fernsehspiele bzw. Filme:

  • Ich schneide schneller (soap) (1998 ZDF/Das kleine Fernsehspiel)
  • Porträt aus Desinteresse (2008)
  • Bad Decisions (2016)
  • Niagara (2017)

Preise, Ehrungen und Stipendien:

  • 1996 Arbeitsstipendium am Royal Court Theatre, London, mit Seminaren bei Harold Pinter, Caryl Churchill u. a.
  • 1997 Stipendium der Akademie Schloss Solitude in Stuttgart
  • 2001 Mülheimer Dramatikerpreis für world-wide-web slums
  • 2002 Wahl zum besten deutschsprachigen Dramatiker in der Kritikerumfrage von Theater heute
  • 2006 Mülheimer Dramatikerpreis für Cappuccetto Rosso
  • 2007 Nestroy-Preis für Das purpurne Muttermal in der Kategorie «Bestes Stück»
  • 2012 Aufnahme in die Akademie der Künste (Sektion «Darstellende Kunst») in Berlin
  • 2012 Else-Lasker-Schüler-Dramatikerpreis für sein Gesamtwerk
  • 2018 Jürgen Bansemer & Ute Nyssen Dramatikerpreis
  • 2019 Arthur-Schnitzler-Preis

Für den Mülheimer Dramatikerpreis war Pollesch zusätzlich nominiert für die «Prater-Trilogie» Stadt als Beute, Insourcing des Zuhauses. Menschen in Scheißhotels, Sex (2002), Liebe ist kälter als das Kapital (2008), Fantasma (2009, ausgezeichnet mit dem Publikumspreis), Kill Your Darlings! Streets of Berladelphia (2012) sowie für Gasoline Bill (2014).
Mit der «Prater-Trilogie» sowie mit Kill Your Darlings! Streets of Berladelphia war er außerdem 2002 bzw. 2012 zum Berliner Theatertreffen eingeladen.

Stückpublikationen (Bücher / Abdrucke in Zeitschriften):

  • Heidi Hoh arbeitet hier nicht mehr (Theater der Zeit 12/2000)
  • Wohnfront 2001 – 2002 (enthält Stadt als Beute; Insourcing des Zuhause. Menschen in Scheißhotels; Sex; Alexander Verlag Berlin, 2002)
  • www-slums (Rowohlt Taschenbuch Verlag, Reinbek bei Hamburg, 2003)
  • 24 Stunden sind kein Tag (Synwolt-Verlag, Berlin, 2003)
  • Zeltsaga (enthält Der Leopard von Singapur, Telefavela, Svetlana in a Favela, Pablo in der Plusfiliale; Synwolt-Verlag, Berlin, 2004)
  • Prater-Saga (Alexander Verlag, Berlin, 2005)
  • Liebe ist kälter als das Kapital (enthält Capuccetto Rosso, Das purpurne Muttermal, Tod eines Praktikanten, Liebe ist kälter als das Kapital, Tal der fliegenden Messer; Rowohlt Taschenbuch Verlag, Reinbek bei Hamburg, 2009)
  • Sex (Theater heute 03/2002)
  • Ich schau dir in die Augen, gesellschaftlicher Verblendungszusammenhang (Theater der Zeit 03/2010)
  • Kill Your Darlings! Streets of Berladelphia (Theater der Zeit 03/2012)
  • Glanz und Elend der Kurtisanen (Theater der Zeit 11/2013)
  • Kill Your Darlings! (enthält Fantasma, Ein Chor irrt sich gewaltig, Der perfekte Tag (Ruhrtrilogie Teil 3), Sozialistische Schauspieler sind schwerer von der Idee eines Regisseurs zu überzeugen, Schmeiß dein Ego weg!, Fahrende Frauen, Kill Your Darlings! Streets of Berladelphia, Don Juan nach Molière; Rowohlt Taschenbuch Verlag, Reinbek bei Hamburg, 2013)

Michel Marc Bouchard

Michel Marc Bouchard

Michel Marc Bouchard, 1958 in Saint-Coeur-de-Marie in Kanada geboren, hat über 20 Stücke geschrieben, von denen viele ins Englische, Spanische, Holländische, Italienische und Deutsche übersetzt wurden, und zählt heute zu den einflussreichsten Theaterautoren seines Landes. In Deutschland wurde er 1997 durch sein Kinderstück »Die Geschichte von Teeka« bekannt. Als Stücke für Erwachsene liegen in deutscher Sprache »Die verlassenen Musen«, »Gefahrenzone« und »Tom auf dem Lande« vor. Die Verfilmung von »Tom auf dem Lande« unter der Regie von Xavier Dolan, erhielt zahlreiche Auszeichnungen, darunter den International Critics Award bei der Mostra 2013 in Venedig.

Bouchard ist »Officer of the Order of Canada«, »Knight of the National Order of Quebec« und Mitglied der Académie des lettres de Quebec.

Preise und Auszeichnungen:
- Canadian National Arts Centre Award

- Chalmer's Award

- Dora Mavor Moore Award

- Betty Mitchel Award

- Primo Arte Candoni (Italien)

- SACD Award (Frankreich)

- American Lambda Award

- Prix Gascon-Thomas

- Prix Laurent-McCautcheon